John,
geb.: 1952, jetzt Münster


Dies ist die Geschichte von: "Wie ich meinen deutschen Führerschein bekommen hab." Das war -ich meine- 1976. Und der Hintergrund: Ich bin 75 nach Deutschland gekommen und ich hatte, kurz bevor ich hierhin kam, einen neuen Führerschein gemacht in Amerika. In Amerika sind Führerscheine immer Sache des Bundeslandes und die waren damals nur für zwei Jahre gültig bis zu deinem Geburtstag, bis zu deinem Geburtsdatum in zwei Jahren.

Frage: Und dann muss man den neu machen?

Na ja, du musst wieder da hin gehen. Du musst nicht ne neue Führerscheinprüfung oder so was machen. Aber die prüfen die Augen und dann machst du nen netten Eindruck. Meistens kommst du da rein, machst nen Augentest, gibst ihm 10 Dollar, unterschreibst und dann hat sich das. So... Und die ganze Zeit, wo ich hier war, so die ersten drei Jahre, da hab ich gearbeitet für die NATO. Und die von der NATO, die wollten nur meinen Ami- Führerschein sehen und dann haben die schwupp di wupp mir einen NATO Führerschein gegeben. Aber weil die Stelle hier auch manchmal die Aufgabe mitbrachte, PKWs zu fahren für die Armee, da hatte ich auch noch einen Armee- Führerschein. Und damit fuhr ich zweimal die Woche Münster - Giessen und zurück und bin insofern viele Kilometer gefahren.

Es war vorauszusehen, dass ich einmal nicht mehr bei der Armee oder der NATO arbeiten wollte -ich hatte schon angefangen, Sprachenkurse zu geben. Ich wollte mich abnabeln. Und dann war auch klar: "Hmm, dann hast du denn keinen NATO Führerschein mehr und keinen Armee- Führerschein und dein normaler Ami Führerschein, der läuft ab und so". Mein AMI Führerschein wäre abgelaufen am 29. Juno 1976. Und im April, also ziemlich drei Monate davor, gehen wir zum Straßenverkehrsamt, ich und Gabi. Ich sprach genug, um ziemlich zu verstehen...

Also wir gehen da hin, Straßenverkehrsamt: Damals war das aufgeteilt, die Beamten waren zuständig je nach Buchstaben. Von S bis Tu und so, und einer war zuständig von Wa bis Z oder so. Und der saß Schreibtisch an Schreibtisch in seinem kleinen Bürozimmer, die es überall hier in Deutschland gibt. Man klopft und dann kommt man dann da rein und da sind zwei Schreibtische, die aufeinander zugucken... -kleine Pause- John lacht: Und der Typ, der guckt so meinen Führerschein an und hört sich das an und sagt nur:
"Kann - man - nix - machen!"
"Hä, wieso kann man nix machen?"
"Ja", sagt er, "normalerweise wär das kein Problem, das umzuschreiben auf den deutschen Führerschein; man muss hier ein Jahr lang unfallfrei fahren und sonst nen Charakterleumund und so haben... Aaaa-ber! Man muss das beantragen volle drei Monate bevor der ausländische Führerschein abläuft. Da kann man nix machen. Bei ihnen sinds nur 10 Wochen bis es abläuft" -Wir lachen- "Ja und was heißt das?", frag ich. "Ja, sie müssen zur Fahrschule, man muss Fahrstunden nehmen und dann die Prüfung."

Frage: "Was? Alle Fahrstunden komplett noch mal?"

Ja, genau. Er sagte: "Bei uns ist das so, als wenn du nie gefahren bist." "Hmm." (Lacht) Und die ganze Zeit, wo er am erzählen ist, der Typ links, der eigentlich von den Buchstaben her nicht für mich zuständig war, der rolliert mit den Augen, und immer wieder, wenn der für mich zuständige auf seinen Ordner draufguckt, guckt der andere ein bisschen verschmitzt zu uns rüber und sagt, also er hat nie was gesagt, aber, na ja, mit seinen Gesten. Nachdem der Typ uns dann rausgeschickt hatte, stand ich noch auf dem Flur und war am fluchen: "Das ist ja das blödeste, was ich je gehört habe, so ein Schwachsinn, da kann ich besser zurückfliegen nach Amerika für das Geld, was die Fahrstunden kosten!" Und dann kommt dieser Typ und er sagt: "Mein Kollege macht in einer Viertelstunde normalerweise Pause. Wenn er Pause hat, dann bin ich zuständig. Vielleicht gehen Sie so lange spazieren und dann fällt Ihnen ein, dass Sie noch eine Frage haben und dann können Sie zurückkommen."

So, eine Viertelstunde sind wir rausgegangen und dann zurückgekommen und dann sagt er mir: "Wir haben jetzt nicht genug Zeit, um dieses Gespräch zu führen, aber mein Kollege hat Ihnen verschwiegen die Liste mit den 13 Ausnahmeregelungen."

Ich denke: "Ausnahmeregelungen, was ist das denn?"

"Ja, es gibt eine Liste von 13 Ausnahmeregeln, wenn eine von denen zutrifft, dann kann der Beamte trotzdem einen Führerschein erteilen. Das ist halt auch eine Ausnahmeregel und mich hats gewundert, ich weiß nicht, warum er das nicht erwähnt hat, aber das dauert ne Stunde oder so.

Mein Kollege macht in zwei Wochen Urlaub und da bin ich wieder für Ihre Buchstaben zuständig und wenn Sie wollen...

Also sind wir nach Hause gegangen, haben überlegt: "Ausnahmeregelungen, was könnte das denn sein?" Aber in zwei Wochen tauchte ich dann wieder da auf und siehe da: Es ist nur einer im Büro und das ist der Typ. "Oh ja", sagt er, "ja, ja, setzen Sie sich."

Und das ist jetzt die eigentliche Geschichte: Denn er holte hervor diese Liste mit den 13 Regeln und das hat in der Tat fast eine Stunde gedauert. Er ging von Regel 1 zu Regel 2 und 3 und so. Und ich kann mich natürlich nicht an alle 13 erinnern, aber so vom Tenor her war das:

-Wenn der Führerscheinbeantragende ein politisch Verfolgter ist, oder wenn er aus einem Land kommt, wo er aus politischen Überzeugungen zu Schaden kommen würde, wenn er zurück müsste in seine Heimat, um dort seinen Führerschein zu machen, kann der Beamte...

"So, wo kommen Sie her? Ach ja, aus Amerika. Hmmm", sagt er, "hmmm, wahrscheinlich bringt uns diese Regel nicht weiter."

(Lachen) Und dann das nächste, genau das gleiche mit den religiösen Überzeugungen:

" Ja, was sind Sie so von Religion? Ja, hmmm, also klingt nicht so, als ob jemand Sie verfolgen würde..." Tja, ha, und dann gabs drei oder vier von diesen Dingern, immer verschiedene Abwandlungen von:

-Wenn der Führerscheinbeantragende körperlich versehrt ist auf eine Art und Weise, so dass es eine Zumutung wäre, ihn aus der Behörde wegzuschicken, aaaaber er ist nicht so auf der körperlichen Art und Weise versehrt, dass er nicht Auto fahren kann, dann kann der Beamte...

Und ich hab irgendwann mal gedacht: "Was soll dieser ganze Scheiß, er weiß doch, dass all diese Regeln eigentlich nicht zutreffen und wir waren schon bei Regel 12 und das traf auch nicht zu... Und ich hab gedacht, er hat die ganze Zeit nur Katz und Maus mit mir gespielt und dass er seine Gaudi mit mir macht.

Dann kommt er zu Regel 13.

"So", sagt er, "die letzte Regel. Hmmm. Hier müssen wir gut darüber nachdenken. Denn was hier steht ist dieses: Wenn nach dem Dafürhalten des zuständigen Beamten es sowohl im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, als auch im Interesse des Führerscheinbeantragenden ist, dann darf der dafür zuständige Beamte trotz allem einen Führerschein erteilen. Haben Sie das verstanden?"

"Ja, ich habs verstanden."

"Im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, hmmm. In Ihrem Interesse, hmmm.

Ich war ja hier vor zwei Wochen, als Sie hereinkamen. Da sind Sie gekommen zu zweit. Und nicht Sie haben gesprochen, sondern Ihre junge - wie darf ich sagen- Freundin? Bekannte? Ich meine, Sie sind doch, hmmm, ein Paar, nicht wahr?

"Ja, wir sind ein Paar."

"Ja", sagt er, "Sie sind jung und sind schon 2 Jahre hier. Dann kann man doch vermuten, dass, also, Sie haben sich gern..."

"Ja, wir haben uns gern."

"Ja", sagt er, "das, was sich gerne hat, oft heiraten solche Leute. Ich weiß ja nicht, aber vielleicht haben Sie auch solche Pläne?"

"Ja, also, wir haben darüber nachgedacht."

"Na, sehen Sie!", sagt er. "Und das ist ja nur logisch, dass junge Leute, die sich lieb haben, wenn die heiraten, da bleibt es nicht aus, da kommen Kinder doch auf die Welt, nicht wahr?"

"Ja, ja, da würden dann auch Kinder kommen."

"Ja, und wenn Kinder da sind, müssen die was zu essen haben. Da muss man einfach dafür sorgen, dass was zu essen auf den Tisch kommt..."

Ich hatte keine Ahnung, wo dieses Gespräch jetzt hingeht.

"So", sagt er, "wenn ich das richtig verstanden habe, was Sie beruflich machen, dann brauchen Sie ein Auto, Sie sagten, Sie fahren zweimal in der Woche nach Gießen?"

"Ja genau, das mach ich."

"Ja, was würde Ihnen geschehen, wenn Sie keinen Führerschein mehr hätten?" Und mir ging durch den Kopf:

"Ja, aber ich hab noch meinen Nato- Führerschein", aber das habe ich dann alles nicht gesagt. Also sagte ich:

"Ja, wenn ich keinen Führerschein mehr hätte, dann könnte ich gar nicht fahren."

"Aha," sagt er, "und wenn Sie nicht fahren können, dann bleiben Sie wahrscheinlich nicht lange auf der Stelle, nicht wahr?"

"Genau."

"Und wenn Sie Ihre Stelle verlieren würden, es ist nicht so leicht, in Deutschland eine neue Arbeit zu finden, dann müssen Sie auf einmal womöglich Arbeitslosengeld beantragen, oder womöglich auch Sozialhilfe. Das kann nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland sein! Ihre Kinder nachher ernähren zu müssen! So, und wenn wir jetzt überlegen, da haben wir gesehen, es ist bestimmt in Ihrem Interesse, das ist bestimmt auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Und dann darf ich Ihnen einen Führerschein erteilen!"

Dann grinst er und sagt: "Ich gratuliere!" (Wir lachen uns schlapp)

Und das war jahrelang das Ende der Geschichte. Überall, wohin wir gekommen sind, haben wir sie erzählt. Und dann vor 5 Jahren, habe ich in dem Kurs einen Mann gehabt, der hat gearbeitet im Straßenverkehrsamt in der Führerscheinerteilungsabteilung. Der hat -ich weiß nicht was- 8 Jahre da gearbeitet oder 10, also lange. Bei seinem Abschlussabend, hab ich ihm die Geschichte erzählt... "Das find ich unglaublich", sagt er zu mir, "denn weißt du was? Es gibt diese Liste gar nicht!

(Anm.: John bietet den Life- Workplanning- Kurs :"What colour is your Parachute? an)


© Dieter Rehnen <info@deutsche-geschichten.de>

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